Die Hintertorperspektive e.V. ist ein gemeinnütziger eingetragener Verein aus Jena, der seit vielen Jahren einen wichtigen Beitrag zu sozialen, kulturellen und sportlichen Angeboten in Jena und dem angrenzenden Umland leistet. Schwerpunktmäßig fokussieren wir uns drauf, den Fußballsport als inklusiven und partizipativen Teil der Gesellschaft zu verstehen. Die Werte, die dieser Sport mitbringt, bedeuten für uns, den Fußball im Sinne eines interkulturellen und teilhabenden Austauschs zu nutzen, um verbindende Elemente zwischen allen Akteur:innen zu finden. Konkret bedeutet Fußball für uns mehr als 90 Minuten vor dem Fernseher oder im Stadion – es ist viel mehr die Idee, dass Menschen, gleich welcher Herkunft, welcher Klasse oder welchen Geschlechts, eine Gemeinsamkeit finden, die sie bestärkt, über den eigenen Horizont hinaus blicken zu können. Die Hintertorperspektive bietet Fußballtrainings- und Turniere im Ostthüringer Raum für junge Menschen aus unterschiedlichen sozialen Kontexten an. Außerdem setzen wir uns seit vielen Jahren aktiv gegen Diskriminierung im Ernst-Abbe-Sportfeld ein und achten darauf, dass sich alle bei Fußballspielen des FC Carl Zeiss Jena wohlfühlen können. Ebenso gestalten wir Vorträge zu gesellschaftlichen und sportlichen Themen.
Zur Erweiterung unseres eigenen Blickwinkels und zur Vernetzung mit Menschen außerhalb Deutschlands, kam bei den Mitgliedern des Vereins der Wunsch auf, einen interkulturellen Austausch in Kombination mit einer Bildungsreise durchzuführen. Die Wahl fiel darauf, in die durch eine Autonomieregierung verwalteten Gebiete Nordostsyriens zu reisen, in denen sich Menschen nach jahrzehntelangem Kampf gegen das autoritäre Assad-Regime und gegen den islamischen Staat eine basisdemokratische Selbstverwaltung geschaffen haben, die eine Beteiligung aller Kulturen, Religionen, Geschlechter und Ethnien sicherstellt. Nach wie vor müssen die Menschen sich dort mit Angriffen durch den aggressiven türkischen Staat, als auch islamistischen Gruppen auseinandersetzen. Der türkische Staat als NATO Mitglied hält Teile des Gebietes seit mehreren Jahren besetzt. Regelmäßig werden insbesondere zivile Ziele und die Infrastruktur zu zerstören. Die BRD hält weiterhin ihre engen diplomatischen Beziehungen zum türkischen Staat aufrecht und unterstützt diesen sogar mit schweren Waffen. Und das obwohl die Menschen in Nord- und Ostsyrien seit Jahren den einzig wirksamen Gegenpol zu radikal islamischen Strömungen im Nahen Osten bilden.
Fußball nimmt auch in Nord- und Ostsyrien einen bedeutenden Platz im gesellschaftlichen Leben ein. Wurden in der Vergangenheit Fußballspiele vom Assad-Regime genutzt, um hart gegen kurdisches Leben vorzugehen, haben sich die Menschen vor Ort den Sport als Hoffnungsträger zurückgeholt. Dass es mehr als nur Sport begriffen werden kann, konnten wir vor Ort selbst erfahren. Wir besuchten ein Fußballspiel junger Nachwuchsspielerinnen und übergaben Bälle, Ballpumpen und Netze, einen Trikotsatz sowie Schal und Wimpel des FC Carl Zeiss Jena. Wir hatten außerdem die Möglichkeit, mit einer Fußballspielerin aus der ersten syrischen Liga ein Interview zu führen, welche von ihren Problemen aber auch von ihren Chancen vor Ort berichtete. So konnten wir auch die Bedeutung der Frauenbefreiung vor Ort an praktischen Beispielen nachvollziehen und ihre Bedeutung verstehen. Weiterhin hatten wir die Gelegenheit das kurdische Newroz-Fest zu besuchen, welches etwa unter dem vorherigen Assad-Regime lange Zeit verboten war. Wie alltäglich die Angriffe des türkischen Staates auf das zivile Leben in Nordostsyrien sind, wurde uns beim Besuch der Familie einer gestorbenen Trainerlegende bewusst. „Kefo“, wie er von den Menschen dort genannt wurde, starb durch einen türkischen Luftangriff auf den Tishreen-Staudamm, welchen die Türkei zu zerstören versucht. Wie viele andere Menschen, hatte sich Kefo einer Demonstration auf dem Damm angeschlossen, um eine weitere Bombardierung und eine daraus folgenden riesige Umweltkatastrophe zu verhindern.
Rückblickend bewerten wir unsere Bildungsreise als unglaublichen Einblick in eine Region, in der Menschen leben, die sich den Fußball auf Basis eines solidarischen und gemeinschaftlichen Miteinanders weiter ausbauen. Wir konnten Kontakte knüpfen, in den Austausch gehen, neue Ideen eines kollektiven Fußballs kennenlernen und unseren eigenen Horizont erweitern. Mit einem Gefühl voller Energie für die kommende Vereinsarbeit landete die Reisedelegation wieder in Deutschland. Von Stuttgart sollte es am gleichen Tag noch zurück nach Jena gehen, doch leider kam es anders. Am Flughafen wurden die Mitglieder unseres Vereins von der Bundespolizei an der Passkontrolle abgesondert und ohne Angabe von Gründen in einzelne Räume verbracht. Die
Handys mussten bereits vor der Maßnahme abgegeben werden, teilweise mit der Begründung des Strahlenschutzes und mit der Aussage, diese schon wieder zu bekommen. Anschließend wurden alle Reisenden getrennt mehrere Stunden verhört, wobei uns anfangs weder das Recht auf Kontakt zur Anwältin zugestanden, noch ein konkreter Vorwurf genannt wurde. Daraufhin verweigerten alle eine weitere Aussage. All unsere Gepäckstücke wurden bis aufs kleinste Detail untersucht. Jegliche
Datenträger in Form von Handys, SD-Karten, Kameras, Tablets und USB- Sticks wurden beschlagnahmt – mit der Begründung der Gefahrenabwehr und dem Verdacht auf Verbreitung von
‚linksextremen‘ Gedankengut in Deutschland inklusive der Möglichkeit auf Rekrutierungsversuche. Die Maßnahme dauerte teilweise bis zu sechs Stunden an.
Wir, die Mitglieder der Hintertorperspektive e.V., zeigen uns entsetzt über das Vorgehen der Bundespolizei Stuttgart. Diese Maßnahme stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff in unser
Privat- und Vereinsleben dar. Verurteilen möchten wir an dieser Stelle ganz klar, eine grundsätzliche Kriminalisierung unserer Personen und unseres Vereins. Das Vorgehen der Behörden zeigt wieder einmal, wie bedroht demokratiefördernde Vereinsarbeit aktuell in Deutschland ist und wie es Strukturen, welche für gesellschaftlichen Austausch einstehen, erschwert wird, ihre Arbeit zu betreiben. Wir fordern alle in diese Maßnahmen beteiligten Stellen auf, die beschlagnahmten Gegenstände herauszugeben und einen weiteren Generalverdacht gegenüber unserem
gemeinnützigen Verein zu unterlassen. Ferner möchten wir betonen, dass Organisationen, die sich mit Menschen anderer Kulturen und Länder auseinandersetzen, nicht wie Verbrecher zu behandeln sind, sondern einen wichtigen Beitrag in der internationalen und antirassistischen Jugendarbeit
leisten. Des weiteren scheint es uns schleierhaft mit welcher Begründung die staatlichen Behörden jeglichen Austausch mit dem seit Jahrhunderten unterdrückten kurdischen Volk, dem Verdacht der terroristischen Propaganda unterstellen.
Für die Freiheit – Für das Leben!
Hintertorperspektive e.V.
März 2025


